Stiftberg

Von Ablass und Kasernen

1.000 Jahre Marienstift auf dem Berge vor Herford - Der Stiftberg in 10 mal 100 Jahren

Von Christoph Laue
 

Allen, die „wahrhaft bereuen und bekennen, die die Kirche zur Andacht besuchen oder zur Verbesserung des Klosters am Visionsberg beitragen“, werden vierzig Tage Ablass von den vorher verhängten kirchlichen Bußen gewährt. Am 3. Januar 1289 stellt der Erzbischofs Siegfried von Köln dem Herforder Marienstift auf dem Berge diese "Ablassurkunde" aus.

Dies ist ein sicheres Zeichen, dass die Wallfahrtstätigkeit voll im Gange war und sich die Einnahmen daraus für alle Beteiligten lohnten. Schon 1262 ist ein Streit zwischen der Küsterin der Kirche und dem Konvent des Stiftes mit dem dortigen Pfarrer um Opfergaben am Altar und dem Opferstock an dem bis heute in der Kirche überlieferten Baumstamm der Vision entstanden, den die Herforder Äbtissin zugunsten von Konvent und Küsterin entscheidet.

Das Stift auf dem Berge ist reich, die Spenden und Gaben der Wallfahrer zum Ort der Vision machen im 14. Jahrhundert auch den grandiosen gotischen Neubau der Kirche möglich. Mitten im Bau wird die Erweiterung der romanischen Basilika abgebrochen und ein kühnes neues Konzept durchgesetzt, das den Besuchern noch heute den Atem raubt.

Angefangen hat alles viel kleiner: Sich direkt auf die Aufforderung Marias in der in die Mitte des 10. Jahrhundert zu datierenden Visionserzählung beziehend, gründet Godesti 1011 das Stift auf dem Berge vor Herford. Die aus der sächsischen Billunger-Familie stammende Äbtissin des Stifts Herfords (1002 - 1040) stattet das Kloster "ad montem visionis" (auf dem Berge der Erscheinung), mit ihren Gütern aus dem Erbbesitz ihrer Familie aus. Hintergrund ist die kirchliche Erneuerung und Festigung des Herforder Mutterklosters. Godesti kann gleichzeitig die Herforder Abtei wieder stärker an das Königshaus binden. In einer Urkunde von 1040 bestätigt König Heinrich ihre Rechte.

Die Weihe des zunächst kleinen Gotteshauses nimmt 1017 der Paderborner Bischof Meinwerk vor. Sie und das Kloster auf dem Stiftberg ziehen schon bald nach der Gründung Wallfahrer aus der näheren und weiteren Umgebung an.

Eine Urkunde des Paderborner Bischofs Bernhard aus dem Jahr 1151 bestätigt den angewachsenen umfangreichen Besitz des Marienstiftes auf dem Berge vor Herford. Viele der Besitzungen und Höfe, aber auch die leibeigenen Bauern bleiben bis zur Säkularisierung des Stiftes von 1810 in dessen Besitz und tragen ebenfalls zum Wohlstand im Kloster bei. Dazu kommen zahlreiche Präbenden (Pfründe = Übertragung von Einkünften) für die Stiftsdamen und viele Memorien-(Gedächtnis-) und Altar-Stiftungen durch Herforder Adelige, Priester aus der gesamten Region und wohlhabende Bürger. 1300 wird erstmals das Koch-Amt des Stiftes erwähnt. Aus diesem Hof zur Versorgung des Klosters entwickelt sich der spätere Meierhof auf dem Berge.

Um 1325 wird der heutige Kirchenbau abgeschlossen, auch für die neue Kirche stiften Herforder Adelige und Bürger zahlreiche neue Altäre und übertragen die Einkünfte gegen Gebete für ihr Seelenheil an das Stift oder die Stiftsdamen.

Aus dem Jahr 1346 stammt die erste Erwähnung der Vision als Jahrmarkt, die sich von der Wallfahrt nun weiter fortentwickelt hat. Der Jahrmarkt rund um die Vision wird so groß, dass die Herforder Stadtherren 1471 - angeblich, das Dokument ist nicht sicher überliefert - die Beteiligung an einem Krieg absagen, da sie angesichts tausender Besucher der Vision hier für Sicherheit sorgen müssen.

Im 15. Jahrhundert wohnen die niederadeligen Stiftsdamen nicht mehr gemeinsam im Schlafhaus, sondern schaffen sich eigene Wohnsitze rund um die Kirche, die Stiftskurien. Die nicht mehr ständig auf dem Berge lebenden Stiftsdamen bekommen Geld für ihre Anwesenheit und Teilnahme am Gottesdienst.

Ab 1548 gelten Stift und Gemeinde als reformiert. Im 17. Jahrhundert ist auch die Kirchengemeinde Stiftberg weiter angewachsen. Ab 1622 führt sie Kirchenbücher. Um 1636 hat der Stiftberg zwanzig Wohnhäuser mit etwa 135 Einwohnern, es bildet sich die Wohngemeinde Stiftberg.

Auf Flurkarten um 1700 sind der Meierhof mit seinen Ländereien und Gärten und die Siedlung rund um die Kirche gut zu erkennen. Im 18. Jahrhundert wird die wachsende Stiftberger Gemeinde immer mehr zum Stadtteil Herfords, immer wieder gibt es Streitigkeiten um die Einnahmen aus der Vision, Steuern und andere Abgaben. Die erste Herforder Stadtgeschichte von Carl Ludwig Storch erwähnt 1737 die Vision als „Lustige Kirchmess“. Der Geschichtsschreiber Joachim Henrich Hagedorn beschreibt 1747 ausführlich das Stift und die Kirche und erwähnt 30 Häuser und sechs Stiftskurien.

Noch 1790 verleiht die Äbtissin den Stiftsdamen auf dem Berge ein eigenes Ordenskreuz. Ab 1802 droht dann die Säkularisierung, die Stiftsverwaltung wird auf einen Justizkommissar übertragen. 1803 behält sich der preußische König noch die Entscheidung über die Zukunft des Stiftes vor. Am 1. Dezember 1810 erfolgt schließlich die Aufhebung des Stifts unter dem König des Königreiches Westphalen, Jérôme Napoleon. Pastor Mumperow verhindert nach der Säkularisation 1810 den geplanten Abbruch der als baufällig bezeichneten Marienkirche u. a. durch den Verkauf der Glocken.

Nach der Säkularisierung wird die Gemeinde Stiftberg noch stärker in die Verwaltung der Stadt Herford einbezogen. 1865 gibt es auf dem Stiftberg 80 Häuser und 582 Einwohner, zur Kirchengemeinde gehört die Neustädter Feldmark mit 152 Häusern und 973 Einwohnern sowie die Gemeinden Falkendiek und Schwarzenmoor mit etwa 2.000 Einwohnern.

Ab 1879 besteht eine neue Marktordnung für den Visions-Jahrmarkt, der zu dieser Zeit auf dem Pagenmarkt begangen wird. 1894 verlagert die Stadt die Vision auf die Schützenwiese zwischen Garten- und Visionstraße. 1910 beschließt sie, die Vision vom Berg auf den Lübberbruch zu verlegen, damit endet eine über 1.000-jährige Tradition. Die Vision wandert nach 1945 an verschiedene Orte, bis sie schließlich 1958 ihren festen Platz auf der Kiewiese findet.

1884 ist die Stiftberger Schule auf 484 Schülerinnen und Schüler angewachsen. Dringend wird der Erweiterungsbau benötigt, der 1885 als nunmehr städtische Schule eingeweiht wird. 1890 kommt im Stiftberger Schulbezirk die neue Schule Mindener Straße dazu, 1897 die Friedenstalschule. 1898 bis 1900 und 1911 wird die „alte“ Stiftberger Schule nochmals erweitert und umgebaut.

1904 kann die Kirche nach umfassender Renovierung neu geweiht werden. Schließlich wird 1908 der Rest des alten romanischen Kirchturms abgebrochen und der heutige Neubau errichtet. Im gleichen Jahr bezieht das Königliche Lehrerseminar die Schulgebäude des heutigen Königin-Mathilde-Gymnasiums. Das Seminar besteht bis 1926.

Im Ersten Weltkrieg wird der Schützenhof zum Lazarett, auch die Schulen sind als Quartiere für Soldaten genutzt. In den 1920er Jahren beginnt der Siedlungsbau in größeren Bereichen des Stiftbergs. Das Orts- und Landschaftsbild wandelt sich grundlegend. Ab 1935 heißt es „Stiftberg, Hurra, die Soldaten sind da“. Große Teile des Berges werden zum Kasernengelände. Wie die Stadt Herford wird auch der Stiftberg am 4. April 1945 zunächst von den Amerikanern besetzt, es folgen im Mai die Briten. In den geplünderten Kasernen sind zeitweilig entlassene Zwangarbeiter einquartiert, bevor die britische Besatzung sie bezieht. Pfingsten 1945 erfolgt die Beschlagnahme fast des ganzen Stiftbergs. 6.700 Menschen müssen ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Es bildet sich die „Notgemeinschaft“

Stiftberg. Erste Freigaben erfolgen ab 1948, erst 1958 ist der Stiftberg wieder „frei“.

In den 1950er Jahren weitet sich der Siedlungsbau massiv aus, bis in den 1960/70er Jahren auch die Bereiche Kastanienallee und Langenbergstraße bebaut und zahlreiche weitere Straßenzüge mit Wohnhäusern neu gefüllt werden.

Mehrere neue Kirchen und weitere Schulgebäude entstehen im Gemeindegebiet. Die Entwicklung zum Wohngebiet unter späterer Einbeziehung des 1969 nach Herford eingemeindeten Schwarzenmoors setzt sich bis heute fort. Ab 2000 wird die Kirche umfassend renoviert und mit der neuen „Collon“-Orgel ausgestattet. 2007 entsteht der „fraktale“ Neubau an der Grundschule Stiftberg.

2011 feiern die Stiftberger ihr 1.000-jähriges Jubiläum.

Die Ausstellungstafeln im Einzelnen

(zur Anzeige der Tafeln Ansicht durch Klicken vergrößern):

1011-1110
1111-1210
1211-1310
1311-1410
1411-1510
1511-1610
1611-1710
1711-1810
1811-1910
1911-2011

Die Ausstellung war vom 19.6. bis 24.7. in der St. Marienkirche Stift Berg täglich von 15 - 17 Uhr und nach Vereinbarung zu sehen. Nach Beendigung der Ausstellung wurden die Tafeln der Kirchengemeinde geschenkt und sind nun im benachbarten Ernst-Lohmeyer-Haus zu sehen.

Auswahl und Gestaltung stammen von Elke Brunegraf und Christoph Laue, Leihgaben und Materialien (größtenteils Reproduktionen) kommen von: LWL-Museum in der Kaiserpfalz Paderborn, Stadtarchiv Köln, Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, Münster, Landesarchiv NRW, Abt. Ostwestfalen, Detmold, Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, Düsseldorf, Städt. Museum Herford, Kommunalarchiv Herford, Ev.-Luth. Marien-Kirchengemeinde Stift Berg, Mathias Polster und Michael Tölke.
 

Die Stiftung der Sparkasse Herford hat die Ausstellung großzügig unterstützt.